Nach Unten treten

Eigener Text, erschienen im Migazin

Die rechten Flüchtlingsfeinde als „neue Asoziale“ zu bezeichnen kann emotional befriedigend sein. Es ist aber auch klassistisch und verzerrt die Sachlage

Oberseite_der_Bierdose_S1050038In der Huffpost erschien im Juli ein Artikel, bei dem es während des Lesens schwer viel, nicht „Ja“ und „Genau!“ vor sich hin zu jubeln. Es geht darin um „Die neuen Asozialen“. Um die deutschen Flüchtlingsgegner, mit denen die Autorin Sabrina Hoffman, eine „Chefin vom Dienst“ der Huffpost, zu Recht hart ins Gericht geht. Sie spricht darin das Offensichtliche aus, dass nämlich ein Großteil der Fremdenfeinde, die mit Sarrazin glauben, dass Deutschland durch „Ausländer“ immer dümmer wird, selbst furchtbar dumm, oder besser ignorant sind. Desweiteren sind sie herzlos. So schreibt Hoffmann: “Sie sehen nur sich selbst. Und die Probleme, die sie bekommen könnten, wenn eines Tages zu viele Zuwanderer in Deutschland leben. Sie verstehen nicht, was Menschlichkeit ist. Sie stehen mit dem Kopf zur Wand und sehen nur Tapete.“

Das ist sehr schön und treffend gesagt und spricht vielen aus dem Herzen. Der Artikel wurde binnen kurzer Zeit tausende Male auf Facebook geteilt.

Und doch gibt es schwerwiegende Probleme damit. Probleme, die weit verbreitet sind, unter Pegida-Gegnern, und für die der O-Ton des Artikels beispielhaft ist. Zum einen grenzen Inhalt und Sprache des Artikels hart an offenem Klassismus – der Herabsetzung von Menschen auf Grund ihrer Klassen- oder Schichtenzugehörigkeit. Mangelnde Bildung und die Schlechtigkeit des Herzens wird in dem Begriff „Die Asozialen“ schon im Titel zusammengebracht. Man kann aber nicht pauschal jeder schlecht gebildeten Person Ignoranz und Hartherzigkeit unterstellen. Das tut Frau Hoffmann zwar so auch nicht, aber sie grenzt sich auch nicht wirklich von solchen Vorstellungen ab. Das wäre aber sinnvoll, denn Klassismus ist ein unterschätztes und zunehmendes Problem. Es vermengt sich oft mit rassistischen Vorstellungen und bildet für sie eine Grundlage. Klassismus bedeutet, dass „Menschen der sogenannten ‚unteren‘ Klassen auf spezifische Art und Weise ausgebeutet, marginalisiert, entmachtet“ werden, „ihre Kultur wird verachtet und sie erfahren Gewalt“, so beschreibt es der Soziologe Andreas Kemper. Im Übrigen hängen zwar verhältnismäßig mehr schlecht gebildete Menschen Pegida-Positionen an, dennoch kommen die meisten Pegidisten aus der Mittelschicht. Rassismus und Ignoranz ist auch und vielleicht vor allem ein Problem der Mitte. Es nur auf „die Unterschicht“ zu schieben, verzerrt die Problemlage.

Dazu ist sehr fraglich, ob die Menschen heute wirklich dümmer sind als früher. Eine umfangreiche Studie belegt, dass die Menschen heute bei Intelligenztests viel besser abschneiden als noch vor hundert Jahren. Aber auch diese Studien werden kritisiert. Generell lässt sich wohl sagen, dass solche pauschalen Verdummungs- oder Verklugungsdiagnosen die gesellschaftliche Realität nicht angemessen wiedergeben. Auch die Autorin des Artikels scheint während des Schreibens unsicher zu werden, schwankt zwischen den Worten Ignoranz (nicht wissen wollen) und Dummheit (nicht wissen können). Letztendlich trifft und formuliert sie aber das wohl eigentliche Problem: Die Dummen waren noch nie so laut wie heute.

Warum trauen sich die ignoranten Herzlosen heute, lauter zu sein als früher? Warum ist es plötzlich in Ordnung, einfach einmal zu glauben, dass „Ausländer“ dümmer sind als „Deutsche“, während man bei jeder Gelegenheit den eigenen Skeptizismus betont? Es spricht viel dafür, dass Leute wie Sarrazin Wegbereiter dieser Ignoranz und Herzlosigkeit sind. Sarrazin begann mit seinem „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ Dinge zu sagen, die lange nicht wirklich ‚erlaubt‘ waren (weil sie dumm und herzlos sind). Zwar in anderen Worten aber mit gleichem Inhalt spricht er von überlegenen und unterlegenen Rassen, von der Möglichkeit Intelligenz zu züchten und von sich bedrohlich vermehrenden Kopftuchmädchen. Mit falschen und verdrehten Statistiken machte und macht er den Herzlosen und Ignoranten aller Schichten Mut, die Stimme zu erheben.

Eine weitere Ursache für diese Lauterwerden ist der erstarkende, und insbesondere während der Fußball-WM zelebrierte Patriotismus. Selbstverständlich ist nicht jeder „Patriot“ automatisch rassistisch, aber dieser begünstigt nachweislich fremdenfeindliche Einstellungen.

Insgesamt sollte man also vorsichtig sein, beim Beschimpfen von Pegidisten und Flüchtlingshassern als Asoziale und Dummköpfe. Es ist zwar befriedigend, aber man bereitet damit dem Klassismus den Boden. Auch ist es wichtig zu Erkennen, dass das Erstarken rechter Stimmen ein Problem der „Mitte der Gesellschaft“ ist, und nicht nur der Unterschicht.

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