
Für mich waren es weder die Geschichten über die Brandsätze gegen Flüchtlingsheime überall in Deutschland, noch das Bild des ertrunkenen Jungen mit dem roten T-Shirt. Was mich wirklich getroffen hat, war die “Stolperszene”. Als Osama al-Abdelmohsen mit seinem verzweifelt heulenden Sohn auf dem einen Arm und einem Biomarkt-Einkaufsbeutel am anderen versucht, die Grenze von Ungarn aus zu überqueren, und er von einer ungarischen Kamerafrau zum Stolpern gebracht wird. Als ich das gesehen habe, musste ich aus Wut und Trauer weinen. Wenn ich dabei gewesen wäre, ich hätte die Frau wohl angegriffen. Und das ist emotional sicher gerechtfertigt.
Allerdings bin ich davon überzeugt dass dieser Hass, so berechtigt er ist, in der Regel ein schlechter Ratgeber ist. Ich bin weder grundsätzlich gegen Gewalt, noch rührt mich das erbärmliche Gejammer der Kamerafrau auch nur ein Bisschen. Auch hat diese Art Hass einen völlig anderen Ursprung als der Hass der Rechten. Und doch bildet er eine ähnliche Struktur. Hass vergiftet langfristig, auch wenn sich das nach christlich-hippiehaftem Geschwätz anhört. Der Hass kennt nur zwei Seiten: Freund und Feind. Der Hass will vernichten. Das ist nicht immer falsch. Werde ich oder meine Familie oder andere unschuldige Menschen beispielsweise von einem rassistischen Mob angegriffen, dann ist Hass und die damit verbundene hochaggressive Gegenwehr die richtige Reaktion. Längerfristig blendet dieser Hass aber. Ich (und wie ich sehe viele andere meiner Facebookfreunde) neigen jetzt schon dazu, Greueltaten und schreckliche Geschichten über die Gegenseite zu “sammeln”. So begießt man den Hass und pflegt ihn wie eine Blume.
Die Welt wird sich mir dann immer mehr über das Freund-Feind-Raster erschließen, und alles was ich wollen werde, ist diese herzlosen und dummen Leute irgendwie fertigzumachen. Irgendwann muss dann der Wunsch blühen, diese umbringen zu dürfen. Und damit ist keine gute Welt zu machen. Hannah Arendt hat das in “Über die Revolution” sehr gut nachgezeichnet: Revolutionen die auf extremen Emotionen bauen, laufen fehl. Wie soll ein solcher Kampf gewonnen werden, wenn nicht durch die Vernichtung des Gegenübers? Und dann beginnt zwangsläufig der Terror im eigenen Lager, weil die Seiten sich überlappen und das Böse in uns sich nie ganz vernichten lässt. Die richtigen Ratgeber, so sagt sie, sind die Solidarität und die Vernunft. Auch wenn wir gerade nicht vor einer Revolution stehen, ist ihr Ratschlag der Richtige. Ich spreche hier halb auch zu mir selbst, weil ich langsam beginne, richtigen Hass zu spüren. Und das ist gefährlich.
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