Der „Weltspiegel“ als Zerrspiegel

Es gibt in Deutschland nicht viele Sendungen wie den „Weltspiegel“. Und darum haben sie eine besondere Verantwortung. Sie sind Fenster zur Welt. Gerade weil mit Fernsehbildern eine Illusion der Objektivität erzeugt wird, muss sweltspiegel logoorgfältig geprüft werden, ob die Darstellungsweise nicht ein verzerrtes Bild erzeugt. Leider bewegt sich der Weltspiegel auf dem Niveau eines durchschnittlichen Stammtisches:
An Stammtischen neigt man dazu über „die Chinesen“ (oder „die Amerikaner“ oder „die Araber“) zu reden als wären „sie“ aus einem Guss. Sarrazin würde von einem „Chinesengen“ (oder Araber- oder Amerikanergen) sprechen. An Stammtischen neigt man auch dazu, sich verrücktes Allerlei über „sie“ zu erzählen, und dabei einen „Anderen“ zu erzeugen, der dadurch anders ist, dass er grundsätzlich anders ist als „wir“. Geht es um China erzählt der Weltspiegel beispielsweise gerne die Geschichte des blind gehorsamen und unfassbar strebsamen Chinesen. Dabei gibt es in China hunderte und tausende von Demonstrationen jedes Jahr, und dabei ist es nur eine Elite, die wirklich überhaupt erst die Chance hat, unfassbar strebsam zu sein. Neulich wurde vom Weltspiegel lustig über eine schwedische Eigenart berichtet: Der Schwede mag nämlich unfassbar stinkigen Fisch. Die Woche davor wurde über Japaner berichtet, die ihre Kuscheltiere per Reisebüro auf Reisen schickt. Das kann ja recht witzig sein, und es ist auch möglich, dass es so etwas nur in Japan gibt. Selbstverständlich gibt es innerhalb einer bestimmten „Kultur“ Eigenheiten. „Die Deutschen“ haben beispielsweise ein spezielles Verhältnis zu Krieg und zu Führungsfiguren, das lässt sich nicht leugnen. Allerdings sind Kulturen etwas sehr unhomogenes. Und so wie es auch in Deutschland genügend Leute gibt, die einen starken Mann und eine schlagende Armee verlangen, so gibt es auch in Schweden ganz viele, die Stinkefisch nicht mögen, und – man kann darauf wetten – es findet sicher die Mehrheit der Japaner reisende Kuscheltiere albern.

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Allerdings ist es völlig normal, so zu denken: Man fasst einen Haufen unterschiedlicher Menschen mit einem Begriff zusammen, man baut sich quasi eine Schublade, eine für Chinesen, eine für Araber, eine für Schweden, und dann klebt man kleine Zettelchen darauf, mit Eigenschaften des Inhalts dieser Schubladen. Das „Wir“ und das „die Anderen“ brauchen einander. Sendungen über das Ausland sind ja per Definition darauf ausgerichtet, nicht das Gleiche, sondern „das Andere“ zu zeigen. Darum betont man Unterschiede und Gegensätze (und betont nebenbei auch das „Wir“). Man sucht und betont das, was unverwechselbar anders ist, als bei „uns“. Dass „die Anderen“ stinkende, eklige Fische essen, zum Beispiel. Aber vielleicht sollte man dem auch nicht zu viel Wert beimessen. Das ist alles so normal, dass es nur hin und wieder in akademischen Texten Kritik erfährt, wie beispielsweise bei Sylvia Breckl in ihrer Arbeit über „Auslandsberichterstattung im deutschen Fernsehen“. Es ist ja auch nicht jede einzelne Sendung des Weltspiegels so, und es ist auch alles ganz leicht und lustig, wenn es nur um Kuscheltiere und Stinkefische geht. Aber wenn es beispielsweise um ein Romadorf in Rumänien geht, werden auf diese Weise völlig unkommentiert und unvermittelt die schlimmsten Vorurteile über Roma bestätigt, indem man diejenigen interviewt, die auffallen, indem sie lautstark vermelden, nach Deutschland zu wollen um trickreich von Sozialhilfe zu leben. Die grinsend verkünden, man wolle die gesamte Familie nachholen, und Kinder würden ja übrigens auch in Massen nachgeboren. Der Bürgermeister des Dorfes wird gezeigt, wie er aus seinem Mercedes aussteigt und in die Kamera brüllt. Und das in einem Klima von immer schärfer werdenden Ressentiments gegenüber Sinti und Roma. Wo – nach einer Leipziger Studie von 2014 – jeder zweite Deutsche meint, Sinti und Roma neigten zum Stehlen. Und das in Deutschland, dem Land wo noch vor einigen Jahren bis zu einer halben Million Sinti und Roma vergast wurden. Unterschlagen werden wichtige Kontextinformationen, beispielsweise dass die meisten Sinti und Roma in Deutschland gar nicht als solche zu erkennen sind (wer weiß schon, dass Marianne Rosenberg eine Angehörige der Sinti ist?), und dass der Großteil eine reguläre Arbeit hat. Unterschlagen wird auch, dass die beliebte These einer Überschwemmung durch Sinti und Roma selbst laut „Bildzeitung“ falsch ist – 2011 gab es einen „Netto“-Zuzug von knapp 60000 Personen aus Rumänien und Bulgarien, von denen wiederum nur ein Teil Sinti und Roma sind. Auch unterschlagen wird die Tatsache, dass das Problem nicht Sinti und Roma sondern Armut heißt. Stattdessen werden nur die Maulhelden interviewt, und immer wieder betont, wie viele noch nachkommen werden, und wie sie es sich gutgehen lassen wollen, im schönen Deutschland. Sicher steckt von den Machern keine böse Absicht dahinter. Stattdessen wird ganz nüchtern so getan, als stelle man die Realität wie sie ist, dar, und nicht einen selektiven Teilaspekt, der das Ganze völlig verzerrt. Die Facebookseite des Weltspiegels wurde gleich nach Ausstrahlung des Berichts überschwemmt mit rassistischen und antiziganistischen Kommentaren. Die Betreiber des Weltspiegels erklärten daraufhin ihre Bestürzung über diese Kommentare und beschworen die Menschenrechte und wunderten sich sehr über diese Reaktionen.
Aber auch das ist normal. Es ist normal, Deutsche in viele Unterkategorien einzuteilen: Sie sind laut, leise, ein Bauarbeiter, ein Proll, eine Schickse, ein Schnösel. Andere „Völker“ werden im Singular erfasst, was deren Heterogenität unterschlägt. Wenn für Schweden oder Roma nur jeweils eine Kategorie, eine Schublade zur Verfügung stehen, dann sind sie eben so wie sie sind, weil sie Schweden oder Roma sind.
Gut bezahlte und gut ausgebildete Journalist*innen sollten es besser wissen. Zwar sollten sie selbstverständlich reale Vorgänge beschreiben, auch welche, die möglicherweise speziell für eine „Kultur“ oder eine Region sind. Aber sie sollten auch wissen, dass „Kultur“ nichts Gegenständliches ist, wie ein Apfel oder ein Stuhl, sondern etwas prozesshaftes, widersprüchliches, etwas, das sich innerhalb einer bestimmten Bevölkerung völlig unterschiedlich verteilt und ausprägt. Reiche haben eine andere Kultur als Arme, Städter eine andere Kultur als Landeier. Gute Journalist*innen sollten wissen, dass die Unterschiede innerhalb der „Völker“ in der Regel größer sind, als die zwischen den „Völkern“. Sie sollten sich dessen bewusst sein, dass früher in Berichten über ferne afrikanische Länder deren Barbarei und Minderwertigkeit belegt wurde, indem man allzu freizügige, halbnackte Wilde zeigte, während heute Barbarei oft im Gegenteil erkannt wird, in restriktiven Gesetzen gegen Miniröcke und außerehelichen Sex. Selbstverständlich sind solche Gesetze barbarisch, und sie sollten auch angeprangert werden. Aber dazu muss man das Stammtischniveau verlassen, und aufzeigen, dass auch dort viele Menschen – auch Männer – gegen solche Gesetze kämpfen. Man muss also vermeiden, die jeweiligen „Völker“ als homogene Gruppen zu konstruieren. Man muss wichtige Kontextinformationen mitbedenken und bereitstellen, und es muss vermieden werden, einen barbarischen Anderen im Gegensatz zum aufgeklärten Westler zu konstruieren. Und man könnte auch ganz einfach vermeiden, so zu tun, als würden alle Schweden Stinkefisch mögen.

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