Arkadi (35) – Hast du Feuer, du Schwanz?
Wir sind nach der Bandprobe noch etwas trinken gegangen. Nicht viel, nur ein, zwei Bier. Ziemlich schwer bepackt mit unseren Instrumenten sind wir danach in den U-Bahnhof Gneisenaustraße hinunter gestapft.
Es lag schon etwas Schnee und wir mussten aufpassen, dass wir nicht auf den Treppen ausrutschen. Im Bahnhof kamen wir an einer Gruppe vorbei, die auf einer Bank herumfläzte. Die beiden jungen Männer und die Frau hatten ihre Baseballcaps in verschiedenen Winkeln aufgesetzt. Trotz der Kälte trugen sie ihre dicken Jacken offen und betont lässig.
Der eine sprach mich an: „Ey, hast du Feuer, du Schwanz?“. Er lag fast auf der Bank, reckte dabei das Kinn hoch, drehte den Kopf leicht schräg und hatte die Augen aufgerissen, wie manche es tun, um einzuschüchtern. Ich hatte keine Lust, mich beleidigen zu lassen, außerdem beeindruckte mich der Wicht überhaupt nicht. Ich schätzte ihn als deutlich kleiner als mich ein. Außerdem war er nicht allzu breit.
Ich antwortete: „Nee, du Schwanz!“, und wollte weitergehen. Eigentlich hätten wir ja quitt sein sollen, aber der Typ flippte aus, sprang auf (sein Kopf reichte mir tatsächlich nur bis zur Brust) und rief ein paarmal: „Wie hast du mich genannt?“. Dabei hob er das Kinn, starrte mich an und kam immer näher. Er suchte Stress und hat sich wohl den Größten aus unserer Gruppe herausgesucht. Unsere beiden Bandkolleginnen konnte er ja schlecht zum Zweikampf fordern und unser Sänger ist kleiner als ich. Die Worte „Schwanz“, „Pfeife“, „Opfer“ und „Hurensohn“ wurden eine Weile lang ausgetauscht, bis ich dann wohl irgendetwas gesagt habe, was besonders schlimm war. Ich weiß aber selbst nicht recht, was.
Sein Kumpel ist aufgesprungen, und begann aufgeregt um uns herumzuhüpfen. Dabei rief er mir mit hoher Stimme immer wieder zu: „Jetzt hast du einen Fehler gemacht! JETZT hast du einen Fehler gemacht!“ Das hat die Szene deutlich stressiger gemacht. Ich merkte in diesem Moment auch, dass die auf irgendetwas drauf waren, Koks oder Speed. Die Frau saß nur nach vorne gebeugt da und glotzte uns an. Schiss bekam ich, als mein „Gegner“ begann, sich die Jacke auszuziehen. Ich dachte, wenn da jetzt ein Messer aufblitzt, müssen wir rennen. Was schwierig gewesen wäre, zu viert und mit den ganzen Instrumenten. Die Jacke warf er mit großer Geste auf das U-Bahngleis.
Der damit verbundene Pathos, die Breitbeinigkeit, das gereckte Kinn, der in die Weite gerichtete Blick, brachte unsere Bassistin dazu, mit dem Kichern anzufangen. Das störte ihn aber scheinbar nicht, und er begann sich auszuziehen. Und das bei der Kälte. Mehrere Lagen: Ein Pulli, ein Hemd, das er erst aufknöpfen musste, einen Longsleeve. Sein aufgeregter Kumpel sammelte die Sachen derweil auf. Die Freundin glotzte weiter. Es fühlte sich an, als würde das Ganze eine Ewigkeit dauern. Unsere Bassistin rief ihm dann zu, ob das nicht ein wenig schneller gehen würde.
Wir brachen in Gelächter aus. Und dann stand er mit nacktem Oberkörper da. Zum Brüllen, aber auch ein bisschen crazy. Er starrte mich noch einen Moment an. Ruhe. Und dann merkte er aber doch, wie kalt es war. Er nahm seinem Kumpel einzeln die Kleidungsstücke wieder ab und zog sich an. Das brauchte seine Zeit, weil er inzwischen zu zittern begonnen hatte, und Hemdknöpfe lassen sich mit zitternden Händen nur schlecht zuknöpfen. Dabei rief er mir geschäftig Beleidigungen zu (starren konnte er ja gerade nicht).
Wir fanden das in diesem Moment nur sehr witzig. Als endlich die Bahn einfuhr, war ich trotzdem ziemlich erleichtert und wollte schnell einsteigen. Aber er bellte mich an, ich solle da bleiben. Ich befürchtete, dass er mitkommen wollte. Das wäre stressig geworden, auf so engem Raum mit diesem Idioten. Aber er stieg glücklicherweise nicht mit ein, sondern stand nur in der Tür, und glotzte mich an. Selbst als die Tür zuging bewegte er sich keinen Millimeter. Wir konnten sehen, wie die Scheibe der Tür an seiner Nase entlang rieb. Er blieb ungerührt. Es war auf irgendeine Art sogar ein bisschen beeindruckend, wie er keinerlei Regung zeigte. Wie in einem Theaterstück. Als die Bahn wegfuhr, starrte er uns nach. Ich frage mich ja immer noch, ob er das Gefühl hatte, gewonnen zu haben.
Als ich eine Woche später zur Bandprobe an der Gneisenaustraße ausstieg, lag seine Jacke immer noch im Gleisbett.
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