Facebook ist ein bisschen wie Mc Donalds: Alle schimpfen darüber und tun es doch. Wobei mir persönlich McDonalds egal ist, während die Drohung, Facebook zu verlieren, mir solche Sorgen macht, dass ich mich schon des Nachts beim Grübeln ertappt habe. Derzeit bereite ich meinen „Wegzug“ nach Diaspora vor, wie einen Umzug in ein fremdes Land, wo ich keinen kenne, und ich höchstwahrscheinlich die ersten Monate alleine in meinem Zimmer sitzen werde. Wenn ich darüber (auf Facebook) rede, werde ich zu meiner Freude oft geliket. Meine „Freunde“ lästern dann gerne in der Kommentarspalte über die Oberflächlichkeit und Sinnleere von Facebook. Aber warum ist mir Facebook dann so wichtig?
Den Schlüssel für das Schloss dieses Rätsels findet sich bei Hannah Arendt. Sie meint, dass wir heutzutage an „Weltlosigkeit“ leiden. Das heißt, dass wir als Einzelne kaum noch Bezug und Einfluss auf eine gemeinsame Welt haben. Stattdessen sind wir entweder, wenn wir das „Glück“ einer Arbeitsstelle haben, ein winziges Schräubchen im riesenhaften Getriebe. Ein Schräubchen hat aber keine Handlungsfreiheit, sondern es funktioniert, und wenn nicht, ist es kaputt und wird ersetzt. Die öffentlichen Belange werden von Politikern und Experten berechnet und verwaltet. Wir Weltlosen suchen dann das Glück in der Regel im Privaten. Allerdings suchen wir da, laut Arendt, am falschen Ort. Denn erst wenn wir von anderen gesehen werden, und von anderen unsere Existenz, bestätigt bekommen, fühlen wir uns wirklich und lebendig. Wir neigen dazu, diesen Impuls abzutun als Bestätigungssucht, aber damit tun wir uns unrecht. Von anderen in unserer Individualität erkannt zu werden und andere zu erkennen ist eben ein sehr gutes Gefühl. Daran ist erst einmal nichts falsch. Problematisch wird es nur, wenn sich das auf das Posten von Bildern von Welpen oder Schockosahnedesserts beschränkt.
Hannah Arendt, die viel von den alten Griechen gelernt hat, würde sagen, dass das Private und das Öffentliche getrennt bleiben müssen, weil sonst etwas schief läuft. Werden die Herzensangelegenheiten aus dem schützenden Dunkel des Privaten ins Licht gezerrt, tut man, was beispielsweise die Bildzeitung macht: Man arbeitet mit entsetzlichen Bildern aus Kriegsgebieten oder schürt die Wut auf „Kinderschänder“. Fundierte Meinungen werden damit ersetzt durch spontanes Urteil, Solidarität durch Wut auf eine bestimmte Person oder Gruppe. Fast ein Paradebeispiel dafür sind Menschen, die sich tagtäglich über die zu grobe Behandlung von Hunden echauffieren, gleichzeitig aber täglich Fleisch aus dem Discounter essen, und somit für entsetzliche Tierquälerei mitverantwortlich sind. Es geht also offensichtlicherweise nicht um die Sache selbst, hier das Wohlergehen der Tiere, sondern darum, im Gefühl der Rechtschaffenheit zu baden. Empörung und Wut können sehr berechtigte Gefühle sein. Aber sie sollten nicht so ohne weiteres zur Grundlage des öffentlichen Handelns werden.
Im öffentlichen Handeln lässt sich die Wirklichkeit der Welt fühlen und Freiheit erfahren: Freiheit heißt, dass wir Prozesse anstoßen und unterbrechen können. Freiheit fühlen heißt zu fühlen, dass ohne uns die Dinge anderes wären. Das zentrale Mittel dieser gemeinsamen Machterzeugung ist das miteinander kommunizieren. Facebook (und ähnliches) ist für viele die letzte Öffentlichkeit, wo dieses öffentliche Sprechen und gemeinsame Bilden einer (wohl begründeten) Meinung möglich ist. Wir können dort über unsere Welt sprechen, und was wir besser machen können. Facebook ist damit ein Mittel, das im Guten wie im Schlechten benutzt werden kann.
Sowohl die Gezi-Proteste, als auch die ägyptische Revolution wurden maßgeblich über Facebook und Twitter organisiert. Und auch in Deutschland spielen soziale Medien wie Facebook eine wichtige Rolle: Sowohl Pegida als auch die vielen kleinen Aktionen für Flüchtlinge und Homoehe werden unter anderem über Facebook organisiert.
Leider ist das Bild der Datenkrake für Facebook recht treffend. Sie hat etwas vom sehenden Fernseher in Orwells „1984“. Auch ist die Facebook-Maschinerie mit einer Vertiefung von Konsumbindungen verbunden, was v.a. aus Umweltschutzgründen verwerflich ist.
Das heißt, nicht das Prinzip einer virtuellen Öffentlichkeit ist schlecht für uns, sondern, erstens, wie wir es gebrauchen, zweitens sollte eine solche Öffentlichkeit abseits von Profitinteressen gestaltet sein, wie jedes Gemeingut.
Kommentar verfassen