Eine zweite Leseprobe aus „Sich Prügeln“. Joannas Geschichte.
Das war mit meinem damaligen Freund. Ich war 23, wir führten eine lange Fernbeziehung, und ich war gerade zu Besuch bei ihm in den polnischen Bergen. Über lange Zeit hatte sich eine furchtbare Frustration angestaut. Wir konnten kaum noch miteinander reden. Abends waren wir bei ihm zu Hause. Angefangen hatte es mit Gemeinheiten, die wir uns zugezischt haben. Darin waren wir ganz schön gut. Wobei ich, ehrlich gesagt, dieses Mal angefangen habe. Ich hatte mich über seine unaufgeräumte Wohnung lustig gemacht und wurde dann immer gemeiner. Richtig unter die Gürtellinie, er beleidigte zurück. Ich schlug als erste zu. Ich wollte mich prügeln. Diese Sprachlosigkeit hat mich fertiggemacht. Ich wollte, dass endlich die Bombe hochgeht. Mit der Faust habe ich ihm gegen den Kopf gehauen. Er schlug sofort zurück, mit der flachen Hand.
Und dann ging es los. Wir schlugen und kratzten und schubsten uns. Ein paarmal drückte er mich runter, ich glaube, um Ruhe reinzubringen. Die Schläge waren hart, und trotzdem waren wir nicht darauf aus, uns körperlich zu verletzen. Es war mehr eine Art Kommunikation, und zwar eine ganz schön intensive. Ich stand in Flammen vor Wut. Einmal, als wir Nase an Nase voreinander standen und uns anschrien, versetzte er mir einen Kopfstoß. Das hat richtig gedonnert. Ich hab die Engel singen hören.
Er merkte in dem Moment, dass das zu viel war, flüsterte eine Entschuldigung und zog sich zurück. Ich konnte das aber nicht auf mir sitzen lassen und prügelte wieder auf ihn ein. Wir warfen Gegenstände herum. Stühle, Teller, er warf einen Tisch um, ich einen Aschenbecher nach ihm, traf ihn damit am Hinterkopf. Das war richtig gefährlich. Mir hat das dann auch gleich leidgetan. Aber ihn regte das natürlich furchtbar auf. Ein paarmal brüllte ich ganz laut und kehlig wie ein Tier, das bedrängt wird. Dazwischen hatten wir ganz kurze Momente in denen wir miteinander sprachen, als würden wir das Ganze nur beobachten. Einmal meinte er im anerkennenden Ton, dass ich mich ja ganz schön behaupten könnte. Das war so absurd, dass ich lachen musste.
Und dann ging es gleich wieder weiter mit dem Schreien und Schlagen und Treten. Das Ganze ging nicht nur gefühlt ewig. Fast eine Stunde. Aufgehört hat dann er, indem er sich plötzlich auf das Bett gelegt hat, in Fötushaltung, mit dem Rücken zu mir. Damit war das Ganze auch für mich beendet. Ich packte sofort meine Sachen. Bevor ich ging, habe ich mit seinem Handy noch ein Foto von meinem Gesicht gemacht. Ich wollte, dass er sich an meinen Anblick erinnert. Ich sah darauf stolz aus, mit meinem blutenden Gesicht: Das Kinn ganz hoch, die Lippen zusammengepresst. Ich trampte dann ins nächste Dorf zum Haus meiner Tante. Ein LKW-Fahrer nahm mich mit. Er hat nichts gefragt, worüber ich echt froh war.
Wenn ich daran zurückdenke, macht mich das traurig. Am meisten wegen der geendeten Beziehung. Wir haben uns so intensiv geliebt, aber genau so intensiv waren auch die Konflikte. Ich bereue den Kampf aber nicht. Wir konnten einander damit zeigen, wie wir uns fühlten. Es wurde greifbar, wie wütend und verletzt wir waren. Ein Teil von mir schämt sich dafür, dass es soweit kommen musste. Aber letztendlich bin ich ganz froh, dass es genauso war. Es hört sich komisch an, aber es war endlich eine ehrliche Kommunikation. Und ich weiß heute, wie viel ich aushalten kann. Aber auch, dass es höchste Zeit war zu gehen.
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