Rezension: „Eine rohe Ehrlichkeit“

Timo K. hat für Facebook „Sich Prügeln“ rezensiert:

Es sind rohe Erzählungen, die Houssam Hamade in seinem Band „Sich prügeln. 18 Geschichten aus dem Leben.“ versammelt. Roh deswegen, weil Hamade den Stimmen der Gewalt einen Raum verschafft, in dem sie brüllen, abwägen, pointieren können – so, wie es ihnen gefällt. An keiner Stelle wird verherrlicht, immer wird nach Gründen gesucht: Was macht diese Prügelei zu einer notwendigen? Hätte die Situation auch anders als mit Schlägen gelöst werden können?

Die Menschen, von deren Gewalterfahrungen wir lesen, werden uns nicht vorgestellt. Manchmal verliert jemand ein paar Worte über sich und seine Herkunft, häufig nicht einmal das. Es spricht für Hamades Schreibkunst, dass es keiner Exposition bedarf, keines exhaustiv erläuterten Settings, damit wir uns zurechtfinden im Spannungsverhältnis von Körperlichkeit und Sprache, am Puls dieses immer wieder neu vermessenen Narrativs aus gewonnener und verlorene Würde, aus erlittenem und zugefügtem Schmerz. Anders als die hervorragenden grafischen Arbeiten Marie Petries, die eine ergänzende und verschärfende Wirkung ausüben, bilden Hamades zwischengeschobenen Reflexionen Konterpunkte; Möglichkeiten, auszuatmen.

So kommt der Band auch als Ratgeber daher, wenn er seinen Lesern Hinweise gibt zu Fluchtverhalten und Deeskalation, zu Selbstverteidigung und den Schwachstellen des Körpers. Man ertappt sich dabei, der Überzeugung nachzuhängen, ab sofort besser entscheiden zu können, welcher Kampf einzugehen und welcher zu meiden ist.

Es sind der Verzicht auf literarische Überhöhung und Schnörkel jeder Art, die zum Eindruck führen, man stünde Stirn an Stirn. Keine Erzählung bleibt länger, als sie willkommen ist, jede markiert ihrem Platz, sodass Nachfragen schon aus Furcht, sich eine einzufangen, ungestellt bleiben müssen: Wer im Geiste die Agendapunkte diskutiert, deren Relevanz ehemalige SchlägerInnen in ihrer Selbsthilfegruppe austarieren sollten, weicht der Wucht aus, die von jedem dieser 18 Abrisse ausgeht; und es lohnt sich, diese voll anzunehmen, denn der rohen Ehrlichkeit, die Hamade eingefangen hat, ist man ansonsten selten ausgesetzt.

 

Timo K.

2 Kommentare zu „Rezension: „Eine rohe Ehrlichkeit“

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  1. Hallo Herr Hamade!
    Hmmm Ihr Buch hinterlässt einen etwas zwiespältigen Eindruck bei mir. Manche der Geschichten finde ich sehr interessant, weil sie mir von einer Welt erzählen, die ich nicht kenne, andere finde ich trivial, weil sie sich in jeder Minute x-fach in Deutschland wiederholen. Ihre Kommentare dazu erscheinen mir eher trivial, um ehrlich zu sein. Was soll ich damit anfangen? Das Zuschlagen lernen? Und was ich tatsächlich vermisse, ist eine komplexere Geschichte, denn kaum eine der Prügeleien hat eine tiefere Ebene. Meist geht es doch nur um: du haust mir in die Fresse, ich hau dir in die Fresse. Aber was das mit dem Leben der Menschen zu tun hat, wird nur in zwei, drei Geschichten deutlich. Also… ein bisschen hat sich mir ein Blick in eine andere Welt eröffnet, aber nicht so sehr wie ich gehofft hatte. Interssant sind Ihre Studien aber allemal.
    Grüße aus der heilen Welt!
    Gabriele Friedberger

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    1. Hallo Frau Friedberger,
      freut mich, dass Sie einige der Geschichten interessant fanden. Ich empfinde sie selbst alle als aufschlussreich und mag die Kürze, kann aber nachvollziehen, wenn sie es gerne anders hätten. Danke für die Rückmeldung und viele Grüße.

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