Die Gefühle unserer Friends

Ich gebe zu, ich liebe die Serie Friends. Gerade schaue ich sie schon wieder. Zum siebten Mal, glaube ich. Und es macht immer wieder Spaß. Allerdings merke ich auch, dass etwas daran heute schief wirkt. Nicht falsch oder empörend. Eher irritierend.

Diese Irritation hat viel mit dem Umgang mit den Gefühlen der anderen zu tun, wie es in der  Serie vorgelebt wird. Besonders deutlich wird das in der Folge, in der Ross eifersüchtig ist, weil Rachel auf der Arbeit enger mit einem Kollegen zu tun hat.

Ross fühlt sich unsicher und bedroht. Das ist und war nicht ungewöhnlich. Eifersucht gehört zu Beziehungen, auch zu reflektierten.

Problematisch ist eher sein Umgang mit den Gefühlen. Er redet nicht offen darüber. Er erkennt auch nicht gleich, dass es nicht in Ordnung ist, zu versuchen, Rachel den so ersehnten Job auszureden, weil er einen Eifersuchtsschub hat. Stattdessen bringt er Blumen, Geschenke, macht demonstrativ sichtbar, dass Rachel vergeben ist. Er stellt ein Pärchenbild an ihrem Schreibtisch auf, um quasi sein Eigentum zu markieren.  Seine Unsicherheit wird zur Kontrolle. Das ist übergriffig, und die Serie zeigt das auch als übergriffig. Ross wird als jemand dargestellt, der nicht gut mit einer schwierigen Situation klarkommt.

Was mich aber fast mehr irritiert als Ross’ Verhalten, ist die Reaktion der anderen Figuren. Rachel signalisiert null Verständnis für Ross‘ Unsicherheit. Der andere Mann sei halt nett. Sie ignoriert die offensichtliche Unsicherheit von Ross. Bald fühlt sie sich auch bedrängt und spricht das auch so aus. Monica weist ihren Bruder zurecht, das Umfeld signalisiert: Dein Problem ist dein Problem. Ross’ Gefühl wird nicht ernst genommen. Es gilt als lästig und unangemessen. Niemand bleibt bei ihm stehen und sagt: Das Gefühl ist da und hat seine eigenen, guten Gründe. Aber dein Umgang damit geht nicht. Lass uns darüber reden.

Nicht, dass das Selbe nicht auch noch heute passieren könnte. Aber mein Eindruck ist, dass sich hier etwas sehr Typisches zeigt, für die Zeit, aus der die Serie stammt. Gefühle sind vorhanden, sie treiben das Handeln an, aber sie gelten noch nicht als etwas, das man gemeinsam anerkennt und bespricht. Man reguliert sie, man erträgt sie oder man verdrängt sie. „Suck it up“, hört man immer wieder in der Serie, wenn jemand zu starke oder unpassende Gefühle hat.  

Dass wir heute oft anders darüber sprechen, hat auch damit etwas zu tun, dass Begriffe und Konzepte aus der Psychotherapie Teil des Alltagsverstandes geworden sind. Begriffe wie Unsicherheit, Trigger, Trauma oder emotionale Bedürfnisse sind nicht mehr randständig, sondern Teil normaler Selbstbeschreibung. Zumindest in akademischen Großstadtmilieus wie denen, die Friends erzählt. Mitunter bringt das Verhaltensweisen hervor, die nicht hilfreich sind: Manche benutzen die Worte Trauma oder Gaslighting zu leichtfertig, andere gar in toxischer Weise als Waffe. Und doch ist es gut, dass vielen inzwischen klar ist, dass ein bewusster und freundlicher Umgang mit den eigenen Gefühlen möglich ist.

In Friends fehlt diese Sprache fast vollständig. Die Figuren haben ambivalente Gefühle, manchmal sehr starke, aber sie wissen nicht recht, was sie damit anfangen sollen. Und genau darin liegt ein Teil der heutigen Irritation: Man sieht etwas, das man heute anders lösen würde, aber man sieht auch, dass es damals kaum andere Werkzeuge gab.

Ähnlich ambivalent ist der Umgang der Serie mit Sexismus und Rassismus. Aus heutiger Sicht wirken viele Witze unreflektiert oder schlicht daneben. Der nette Chandler glotzt in aller Öffentlichkeit einer Frau auf den Busen und kommentiert dessen Größe. Joey zeigt sich sofort nackt, weil er eine Einladung auf einen Saft missdeutet, ohne dass das ernsthaft problematisiert wird. Bestimmte Figuren funktionieren über Klischees. Joey ist das deutlichste Beispiel: der italienischstämmige Mann aus der Arbeiterklasse, sexfixiert, körperlich, ungebildet und dumm, aber das Herz am rechten Fleck. Das entspricht ziemlich genau dem klassischen Italoamerikaner-Stereotyp.

Gleichzeitig ist Joey mehr als das. Er ist keine bloße Karikatur. Er ist loyal, verletzlich, manchmal überraschend feinfühlig. Er denkt über sich nach, verändert sich, macht Fehler und lernt. Er ist ein Subjekt. Und genau das unterscheidet Friends fundamental von älteren Fernsehtraditionen, in denen Minderheitenfiguren oft nur reine Projektionsflächen waren.

Auch hier zeigt sich eine Übergangsphase. Sexismus und Vorurteile werden nicht mehr offen verteidigt oder ausgeübt, aber sie werden häufig ironisiert. Ironie fungiert als moralischer Zwischenraum. Man weiß, dass etwas nicht ganz in Ordnung ist, aber man macht es trotzdem, abgesichert durch den Witz. Heute wirkt diese Ironie oft wie eine Ausrede. Damals war sie für viele ein erster Schritt weg von der Selbstverständlichkeit.

Vielleicht erklärt das auch, warum Friends heute als „boomerhaft“ gelesen werden kann, obwohl die Figuren streng genommen keine Boomer sind. Es geht weniger um Geburtsjahrgänge als um kulturelle Prägungen. Die Serie stammt aus einer Zeit, in der alte Normen sichtbar brüchig wurden, neue aber noch nicht fest etabliert waren. Man tastete sich voran.

Vor diesem Hintergrund wirkt auch der heutige Kulturkampf zwischen „woke“ und „anti-woke“ etwas anders. Es gibt ohne Zweifel einen realen kulturellen Wandel. Diskriminierung kann benannt und wahrgenommen werden. Gefühle werden ernster genommen, Machtverhältnisse werden offener diskutiert. Das ist ein Fortschritt. Gleichzeitig ist dieser Wandel ungleichzeitig, sozial und regional unterschiedlich. Er ist voller Widersprüche.

Was heute oft als Generationenkonflikt zwischen reaktionären Boomern und überempfindlicher Gen Z beschrieben wird, ist auch ein Konflikt zwischen unterschiedlichen emotionalen Ordnungen. Die einen haben gelernt, ambivalente Gefühle zu haben, verfügten aber lange nur über ein begrenztes Instrumentarium, um über sie zu sprechen. Die anderen nehmen diese Begrenzung als Mangel wahr. Ohne zu sehen, wie groß die Schritte waren, die frühere Generationen überhaupt erst in Gang gesetzt haben. Umgekehrt könnten die Jüngeren von den Älteren vielleicht manchmal eine größere Gelassenheit im Umgang mit Ambivalenzen lernen.

Friends zeigt genau dieses Dazwischen. Ross’ Gefühle sind nicht absurd. Seine Reaktion ist aber übergriffig und kontraproduktiv. Auch Sexismus und Rassismus werden in der Serie  oft gesehen, aber aus unserer Sicht nicht konsequent durchdacht. Die Figuren sind empathischer als frühere Fernsehgenerationen und zugleich blinder, als es heutige Maßstäbe erlauben. Das macht die Serie aufschlussreich. Am Ende ist Friends eben doch eine sehr freundliche und oft auch überraschend kluge Serie.

Vielleicht helfen solche Blickwinkel, ein wenig Schärfe aus den aktuellen Debatten zu nehmen. Mir hilft das Beispiel jedenfalls, diesen Prozess konkret nachzuvollziehen. Und es ist ein guter Prozess, der widersprüchlich ist und wohl nie abgeschlossen sein wird. Wir lernen darin, immer freundlicher mit unseren Friends und mit unseren eigenen Gefühlen umzugehen.

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