Gutes Buch: „Zerstörungslust“

Ich habe gerade „Zerstörungslust“ von Amlinger und Nachtwey fertiggelesen. Es ist sehr sehr anregend und insgesamt empfehlenswert. Es gab ein paar Teile, die mich aber gestört haben. Ich werde mal erzählen, was das war und vor allem, was ich an dem Buch so gut fand. Das Buch enthält Unmengen an Daten und Theorien. Darum kann ich hier nur herauspicken, was ich besonders interessant fand.

Zerstörungslust und blockiertes Leben

 Die Beiden gehen der Frage nach der faschistischen Zerstörungslust (151ff.) nach, die man vor allem bei AfD-Leuten so viel sieht. Das ist erst mal extrem relevant, weil es ganz offensichtlich ein sehr reales Problem ist. Das zeigen sie auch Daten, die sie teils auch selbst in Interviews ermittelt haben. Angelehnt an das Konzept des „Need for Chaos“ haben sie einen Destruktivitätsindex erstellt. Die konkreten Fragen sind:

1. „Wenn man gute Gründe hat, ist auch gewalttätiges Verhalten gerechtfertigt.“

2. „Ich denke, diese Gesellschaft sollte in Schutt und Asche gelegt werden.“

3. „Wenn ich an unsere politischen und sozialen Institutionen denke, kann ich nicht anders, als zu denken: »Sollen sie doch einfach alle untergehen.«

 Das hilft, die Zerstörungsimpulse klar zu messen.  In der deutschen Stichprobe zeigte sich, dass 12,5 Prozent der Befragten als mittel- oder hoch-destruktiv eingestuft wurden. Diese Leute sind tendenziell jünger, eher männlich und politisch eher rechts verortet. Bildung und Einkommen hatten dabei keinen robusten Einfluss auf die Destruktivität. Dafür aber biografische Brüche und ein Gefühl des blockierten Lebens. Letzteres ist die objektive Basis der destruktiven Einstellungen. AmlNacht sagen, dass beides eine Rolle spielt: Objektive Erfahrungen von blockiertem Leben und falsche Deutungen, unter anderem verschwörungsideologischen Mist und Desinformation, wie sie nachweislich in rechten Kreisen weit verbreitet sind.

Viele Menschen haben heute den Eindruck, dass die Zukunft keine Verbesserungen mehr bereithält – und genau das verändert die Grammatik sozialer Konflikte. Auseinandersetzungen drehen sich nicht länger um die gerechte Verteilung wachsenden Wohlstands, sondern um die Aufteilung begrenzter oder gar schrumpfender Ressourcen. In dieser Zeit nach dem Fortschritt setzt sich eine Nullsummenlogik durch: Was die eine gewinnt, muss ein anderer zwangsläufig verlieren. Dadurch kippen Verteilungskonflikte in die Horizontale. Unabhängige Entwicklungen werden über falsche Zusammenhänge miteinander verknüpft, etwa wenn marode Infrastruktur den Linken oder ein blockierter Aufstieg Geflüchteten angelastet wird. Aus dem Gefühl des blockierten Lebens entsteht so eine hyperindividualistische Wahrnehmung, in der Fortschritt nur noch auf Kosten anderer möglich scheint (17ff.).

Austeilen gegen „den Liberalismus“

Immer wieder wird in dem Buch gegen „den Liberalismus“ ausgeteilt. Das fand ich nicht ganz so überzeugend. Nicht weil ich es grundsätzlich falsch finde, „den Liberalismus“ zu kritisieren, sondern weil die Argumentation schlampig war. Mir war nie so richtig klar, wen oder was sie meinen.

Im Buch wird es so erklärt: Der Liberalismus macht Menschen große Freiheits- und Selbstverwirklichungsversprechen, löst diese aber immer weniger ein. Die spätmoderne Gesellschaft erzeugt hohe Autonomieansprüche. Gleichzeitig blockieren die realen Bedingungen – Prekarität, Abhängigkeit von Institutionen, Unsicherheit – diese Ansprüche systematisch. Daraus wächst das zentrale Gefühl eines „blockierten Lebens“.

Gleichzeitig unterschätzt der Liberalismus die Rolle von Wut, Kränkung und Statuspanik, weil er Konflikte vor allem rational und bildungspolitisch zu lösen versucht. Probleme werden individualisiert, nicht strukturell verstanden; Enttäuschungen richten sich daher eher gegen Institutionen, „Eliten“ oder vermeintlich bevorzugte Gruppen als gegen die sozialen Bedingungen selbst. Dadurch entsteht eine Gefühlsdynamik, die den Liberalismus nicht nur überfordert, sondern ihn selbst als Hindernis erscheinen lässt.

Die faschistische Energie, die sie beschreiben, entsteht in genau diesem Raum. Daher plädieren sie für einen „postliberalen“ Ansatz, der die affektiven und materiellen Voraussetzungen demokratischer Stabilität ernster nimmt als die liberale Tradition es bislang tut.

Wenn ich das so schreibe, macht es alles Sinn und ich stimme zu. Also: Dass man strukturell denken sollte, und nicht nur zu glauben, man könne das Thema nur mit Bildung lösen. Allerdings sehe ich nicht, dass alle, von den Grünen, der Spd und Teilen der CDU (die werden am Ende des Buches als diejenigen bezeichnet, von denen das Buch spricht) total bescheuert in dieser Art argumentieren. Genauso wird irgendwo gesagt, „der Liberalismus“ könne sich nichts anderes  als das Wachstumsparadigma vorstellen. Dabei kenne ich eine Reihe von Liberalen, die von Postwachstumsgesellschaft sprechen. Aber die gelten dann vielleicht nicht mehr als liberal. Keine Ahnung. Das wird im Buch finde ich nicht klar.

Was mich daran außerdem stört, ist, dass „der Liberalismus“ sowieso schon Projektionsfläche für jeden möglichen Scheiß ist. Das finde ich dann nicht gut. Trotzdem versammeln sie viele  gute und hilfreiche Argumente. Beispielsweise erklären sie sehr schön das Konzept der professoral managerial class (PMC), wie es Adam Tooze in Bezug auf den Erfolg von Trump erklärt hat(68ff.) Das ist eine Schicht hochqualifizierter Angestellter in Wissens-, Management- und Professionsberufen, die weder zur klassischen Arbeiterklasse noch zur Kapitalfraktion gehört, sondern Kontroll- und Steuerungsfunktionen im Kapitalismus ausübt. Dazu gehören Ärztinnen, die der Arbeiterklasse erzählen, dass sie weniger rauchen und autofahren und mehr Gemüse essen sollen. Erzieher, die ihnen erklären, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben, Journalistlis, die ihnen vorschreiben, was die Wahrheit ist und Lehrkräfte, die ihnen alles mögliche andere erklären und sie bewerten.

Die PMC verkörpert im Buch einen Teil der Gewinnerlis der Wissensökonomie, deren Lebenswelt, Statusgewinne und politische Präferenzen sich zunehmend von der stagnierenden oder abstiegsbedrohten Arbeiterklasse abkoppeln. Dadurch wird sie zu einer Projektionsfläche für Ressentiments und zu einem Symbol der liberalen Moderne, die leere Versprechen gibt.

Ich glaube, AmlNacht beschreiben dabei etwas Reales. Das heißt nicht, dass die antiwoke Hysterie plötzlich insgesamt recht hat, und die „einfachen Menschen“ von einer „wahnsinnigen, woken Minderheit“  unterdrückt wird. Sondern, dass hier irrationale Elemente an einen realen Kern andocken. Klar spielt das Phänomen PMC eine Rolle, aber das heißt nicht, dass damit alles falsch ist, was Erziehende und Lehrkräfte so vermitteln. Aber es zeigt, dass Ressentiments nicht alleine Wahnsinn als Grundlage haben.

Deservingness und Klublogik

Was ich auch hilfreich fand: Die Konzepte der deservingness und die damit verbundene Klublogik.  Sie zeigen, dass viele Befragte ihre Identität stark an Arbeit, Fleiß und Disziplin knüpfen – und daraus eine moralische Unterscheidung ableiten, wer „verdient“, Unterstützung zu erhalten, und wer nicht. Das Leistungsprinzip wird dabei nicht nur als persönlicher Maßstab verstanden, sondern als moralischer Filter: Hilfe steht nur jenen zu, die sich als hinreichend strebsam erwiesen haben. Denjenigen, die sich dem entziehen, wird eine „lustvolle Grausamkeit“ entgegen gebracht. Diese Logik funktioniert wie ein Klub, für den man „bezahlt“ haben muss: Wer arbeitet, früh aufsteht, „durchhält“, gehört dazu; wer scheitert oder nicht mithalten kann, gilt als selbstverschuldet „faul“. In dieser Perspektive wird soziale Sicherheit zu einem exklusiven Gut, das vor „Unberechtigten“ geschützt werden muss. AmlNacht zeigen das am Beispiel eines Interviewten, der fordert, Menschen sollten „drei Monate Zeit bekommen – und raus, wenn sie keine Arbeit finden“. „Raus“ dann aber mit einem Tritt in den Hintern, den „sie“ nie wieder vergessen. Bedürftigkeit wird nicht als strukturelles Problem gesehen, sondern als moralisches Versagen, das mit Ausschluss bis hin zu Vernichtungsfantasien beantwortet wird.

Das erklärt, warum gerade destruktive Akteure oft besondere Härte gegenüber Schwachen entwickeln: Die sozialpsychologische Kränkung durch Leistungsdruck wird nach unten ventiliert. Wer selbst unter dem Leistungsprinzip leidet, verteidigt es umso verbissener – und reagiert aggressiv auf alle, die scheinbar die „Pflichten des Klubs“ nicht erfüllen.

Fazit

Wie Jan-Werner Müller in seiner Rezension geschrieben hat: Das Buch ist mitunter etwas zu schnell geschrieben worden. Es gibt Teile, die hätten deutlich präziser argumentiert werden sollen. Teils werden auch Passagen von den Interviewten in der Art von Kulturkritik alter Schule interpretiert, wenn beispielsweise einer Person, die viel Sport macht, zumindest impliziert wird, dass der Sport ein Ausdruck ihrer  radikal meritokratischen Haltung ist (151ff.). Trotzdem lohnt sich das Buch wirklich. So ist für mich inzwischen eindeutig, dass es diese Zerstörungslust und ihren Zusammenhang mit Faschismus gibt. Ich verstehe unsere Welt jetzt ein gutes bisschen besser. Auch sehe ich, wie reale Probleme wie wirtschaftliche Unsicherheit und blockiertes Leben mit rechtsextremer Propaganda und anti-woker Hysterie zusammen wirken. Auch die Sache mit der Klublogik hilft mir wirklich, bestimmte Phänomene besser zu verstehen. Also auch, warum manche Leute so eine Grausamkeit und Aggression gegen eigentlich schwächere Gruppen zeigen. Außerdem ist das Buch ein reichhaltiges Reservoir an Daten, Studien und Theorien, an denen man sich bedienen und weiter lesen kann. Das alleine reicht ja schon. Vielen Dank dafür, AmlNacht.

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