Anleitung zur sexuellen Unterwerfung (Teil I)

-> Lektion 1: Freiwilligkeit. Warum paradoxerweise Freiwilligkeit und Vertrauen das Fundament des Spiels mit sexueller Unterwerfung sind.

Bild: Wikimedia Commons
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Neulich plante ein berühmt-berüchtigter „Pick-up Artist“, nach Berlin zu kommen. Der Plan war,  Männern Techniken beizubringen, um Frauen willig zu machen. „The Claw“, heißt eine dieser Techniken, bei der das jeweilige „Objekt“ mit dem Arm umschlungen, an den Mann herangezogen und erst wieder losgelassen wird, wenn sie sich nicht mehr wehrt.

Abgesehen davon, dass solche Moves so abwertend sind, dass sie brutale Gegenwehr rechtfertigen, steckt dahinter ein (dummer und grausamer) Denkfehler: Nämlich die Vorstellung, dass es der Herzenswunsch aller Frauen sei, unterworfen zu werden (1).

Woher stammt dieser Denkfehler? „Die wollen’s doch!“ meint so mancher Mann und verweist zugleich fasziniert wie beunruhigt (2) auf die Erfahrung, dass einige Frauen (3) beim Sex gerne „benutzt“ werden. Manche wollen sogar gewürgt oder geschlagen werden. In der Dunkelheit der Begierden zeige sich dann die angebliche „Wahrheit“, dass Frauen beherrscht werden wollen. Der angebliche Erfolg dieser sogenannten Pick-up-Artists ist aber ein aufgeblasener Mythos, wie verschiedene Ex-Pickup-Artists erzählen (4). Dieser Erfolg ist ein Marketinggag, auf den wohl verzweifelte Männer hereinfallen. Dass das ganze Konzept nur seltenst funktioniert, hat einen Grund: Es geht beim Spiel mit sexueller Unterwerfung nicht um Unterwerfung, sondern, so wie ein Witz das Gegenteil dessen meint was er sagt, um Freiwilligkeit und Vertrauen.
Das lässt sich an einer Szene aus der Serie „Shameless“ veranschaulichen. Es kommt zu recht rauhem Sex. Beide werfen sich förmlich durch die Eingangstür, er rammt sie gegen die Wand, hält mit einer Hand ihren Arm, mit der anderen ihren Hals umklammert. Sie küssen sich hart. Dann wirft er sie auf eine Matratze. Er drängt zwischen ihre Beine. Bis jetzt ist den Zuschauern klar, dass es sich um Sex handelt, und nicht um Gewalt. Plötzlich wird es der Frau zu heftig. Sie sagt ihm, immer noch vertrauend, dass er einen Gang zurückschalten soll. Das tut er nicht. Und genau im nächsten Moment passiert etwas. Sie sagt mehrmals „Nein“, wird immer lauter. Aufsteigendes Entsetzen schleicht in ihre Stimme. Er hört nicht auf. Sie verliert die Kontrolle über die Situation. Das Lustspiel wird zum Albtraum. Sie beginnt sich zu wehren, zuerst ohne ihn abschütteln zu können.
Letztendlich schafft sie es doch, ihn loszuwerden. Aber das Wesentliche steckt in diesem Übergang: Der Übergang von Lust zu Gewalt. Wichtig ist dabei nicht, ob die Szene realistisch ist oder nicht, sondern dass wir als die Zuschauer ganz genau wissen, was passiert: Der Beginn ist ein Spiel. Ein Spiel mit Dominanz, das aber nur auf der Grundlage von Vertrauen und Freiwilligkeit funktioniert. Genau in dem Moment, wo sich das ändert, verwandelt sich der Lustakt zum Gewaltakt. Eine „Vergewaltigung“ ist  das Gegenteil eines Lustspiels. Vergewaltigung heißt, dass jemand mit Hilfe seelischer und/oder körperlicher Gewalt in das Ich des anderen eindringt. Das kann Grundvertrauen zerstören und scheißt Dir möglicherweise für immer in deine Seele. Wer vom sexualisierten „Eindringling“ fantasiert, oder von jemandem der herunterdrückt und ohrfeigt und nimmt was er will, fantasiert dabei von Hingabe und nicht von Gewalt. Man tut zwar so, als ob der Wille gebrochen wird. Aber er wird nicht wirklich gebrochen. Das ist der zentrale Punkt: Der Wille des Gegenübers ist und bleibt heilig. Das wird durch diese Grenzverschiebung hervorgehoben und kontrastiert.
Selbstverständlich ist das Herz dunkel, und wir sind ambivalent gegenüber Macht und Gewalt. Manchmal lieben wir, was wir hassen sollten. Manchmal begehren wir, was wir gleichzeitig abstoßend finden. Im dunklen Spiel verdichtet sich der innere Zwiespalt. Aber richtig gemacht löst er sich in Lust und Vertrauen auf. Dass es ein Spiel, eine Fantasie ist, ist dabei das wesentliche Unterscheidungsmerkmal. Es reicht ein einziges (ernstgemeintes) Wort, und die Sache ist vorbei. Und wenn dieses eherne Gesetz nicht eingehalten wird, wandelt sich der geile Sex mit einem Schlag in etwas unfassbar Beschissenes. Das Lustspiel, in das Zwang und Schmerz eingebaut ist, ist ein Vertrauensspiel. Wir sind uns nahe. Ich gebe mich hin und du beweist mir, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Wirklich pervers ist, wenn das nicht geschieht. Es ist ungeheuer intensiv, sich hinzugeben. Wenn ich gewürgt werde, könnte mich das Gegenüber auslöschen. Aber er oder sie tut es nicht. Im Gegenteil: Ich lege mein Leben in die starken Hände des Gegenübers. Und das funktioniert. Ich fühle mich dadurch besonders sicher und aufgehoben. Beide Seiten fühlen sich dadurch stark und sicher und geil. Wenn ich spiele, dass mein Wille gebrochen wird, spüre ich den Willen, also das Ich des anderen körperlich nahe. Die Person, die mich unterwirft, berauscht sich an diesem Vertrauen. Sie zeigt ihre Begierde und zur selben Zeit ihre Schwäche und Stärke nackt. Wir zeigen uns nackt.
Die Freiwilligkeit markiert ganz präzise die Grenze dieses Übergangs von Lust zu Entsetzen, den wir klar und zweifelsfrei erkennen können. Die Lustspiele mit der Unterwerfung lassen uns im Vertrauen baden. Und wir berauschen uns daran, den freien Willen des Gegenübers zu spüren.

1: Oft wird diese Argumentation pseudowissenschaftlich mit der Evolutionspsychologie „belegt“. Diese haben aber, wenn sie nicht weiter mit Belegen unterfüttert werden, keinen Erklärungsgehalt, denn sie lassen sich so und so auslegen: Man behauptet etwas und überlegt sich im Nachhinein irgendwelche Umstände, die diese Behauptung erklären.
2: Beunruhigend ist das, weil damit alles was für uns Liebe und Freiheit ist, negiert wird, und weil dann jederzeit ein Alpha daherkommen könnte, um sich die „eigene“ Frau zu nehmen.
3: Man muss dabei hervorheben, dass viele Frauen Unterwerfung beim Sex als abstoßend empfinden, und viele Männer sich auch gerne dominieren lassen
4: Vgl.: http://www.vice.com/de/read/gestaendnisse-eines-ehemaligen-pickup-artists-000

11 Antworten auf „Anleitung zur sexuellen Unterwerfung (Teil I)

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  1. Lieber Houssam,

    Diese Textpassage könnte nicht treffender formuliert sein, als Du es hier perfekt vollbracht hast:
    “ … fantasiert dabei von Hingabe und nicht von Gewalt. Man tut zwar so, als ob der Wille gebrochen wird. Aber er wird nicht wirklich gebrochen. Das ist der zentrale Punkt: Der Wille des Gegenübers ist und bleibt heilig.“
    Vielen Dank dafür, Deine Formulierung ist für mich sehr hilfreich jemanden diese Faszination zu erklären.

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  2. Ich habe deinen Text gerade zum ersten Mal gelesen, und ich bin schwer beeindruckt davon, wie deutlich du ausdrücken kannst, was ich fühle – WOW!!!

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  3. Ich habe gemerkt, dass bei doch noch mal eine Spur „grenzwertiger“ (im neutralen, technischen Sinne) ist, was ich als noch geiler als das im hiesigen Blog-Artikel beschriebene Szenario empfinde: ihren m o m e n t a n e n Un- oder Widerwillen zu „brechen“ — und sie durch meine „Gewalt“ gegen sie geil auf mich/ den Sex mit mir zu machen. Das erfordert allerdings noch mehr Gespür dafür, ob/wann sie „wirklich“ nicht will, also auch dann nicht will, wenn ich sie überwältigte (und „mir einfach nähme“) — so paradox diese Formulierung auch klingen mag — , weil dann darf ich eben, wie ja schon im hiesigen Blog-Artikel ausgeführt ist, nicht weiter machen, wenn ich sie nicht „wirklich“ vergewaltigen will (was ich definitiv nicht will), obwohl ich schon von vornherein keine Erlaubnis dazu bekommen habe, sondern diese mir ja erst gegen den mehr oder weniger natürlichen Widerstand von ihr erkämpfen will … sozusagen. Das ist quasi BDSM ohne klares Setting, ohne scharfe Grenze zwischen „BDSM-Sexualleben“ und dem Nicht-„BDSM-Sexual-„Leben — und doch ein Tanz auf Messers Schneide. Da muss man das eigene Ego noch mehr im Griff haben (Selbstreflexion!), also auch noch emotional- und impulskontrollkompetenter sein — somit letztlich noch aggressiver und durchsetzungsfähiger sowie noch einfühlsamer und feinfühliger zugleich! Es gilt, wie schon im hiesigen Blog-Artikel ähnlich erklärt ist: Ein „wirklicher“ Fehler — und das Vertrauen, die Beziehung, die Liebe ist ruiniert. Wer da in einem solchen Moment, wo sie es/etwas „wirklich“ (im oben erläuterten Sinne) nicht will, es doch durchzieht, egoistisch auf ihr Seelenheil scheißend (aber eigentlich auch auf das eigene Seelenheil scheißend durch die Zerstörung der Beziehung/Liebe, von der man ja ein Teil ist), etwa weil man die eigene Geilheit nicht kontrollieren kann/will oder weil man mit Zurückweisung/Erfolglosigkeit/Frust nicht zurecht kommt, der ist ein armseliger, narzisstisch (zu) gestörter, noch zu unreifer Wicht — und so jemand würde es eher früher als später verkacken, insbes. dann, wenn er nicht fähig ist, kleinere verletzende Fehler/Übergriffigkeiten einzugestehen, das damit unangenehme/schmerzhafte Schuld-/Reuegefühl zuzulassen und dies ihr gegenüber auch zu kommunizieren. Last but not least — und eigentlich sollte es überflüssig sein, darauf hinzuweisen: — muss die zu überwältigende (nicht: zu vergewaltigende) Frau — also Ü-18 — mit diesem Verhalten ihr gegenüber vertraut sein, sich in der Beziehung zueinander gut aufgehoben und vor größeren Verletzungen sicher fühlen sowie durch solches Verhalten in einem solchen Beziehungskontext zu sexuellem Verlangen reizbar sein.
    Achtung, bitte nicht versuchen, die im obigen Absatz geschilderten Handlungen nachzumachen! Achten Sie bitte darauf, diesen Text, obwohl er weder eine Anleitung oder Aufforderung zu, noch eine Relativierung oder Verharmlosung von Sexualstraftaten/Gewaltverbrechen darstellen soll, nicht in den üblichen Wahrnehmungsbereich von Personen zu stellen, die mit den Prinzipien und Grundregeln von BDSM nicht vertraut sind (erforderlich ist sowohl eine mehrjährige geistige Erfassung dieser Prinzipien und Grundregeln als auch eine mehrmalig bestätigte [in einem seit dem 15. Mai 1997 in Deutschland legalen Rahmen stattgefundene] Anwendungserfahrung aus der Praxis einer andauernden erfüllenden sozialen Beziehung mit BDSM-Elementen). Jegliche Schäden, die bei Versuchen zur Umsetzung der Inhalte im ersten Absatz dieses Textes entstehen, gehen auf die eigene Kappe der so zu agieren versuchenden Person. Weder der Autor des Textes, noch die Webserver- und Webseitenbetreiber, die diesen Text zur Verfügung stellen, haften für solche Schäden oder deren Folgen.

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    1. Ups, ich habe Deinen Kommentar gerade erst gesehen. Na, eigentlich sollte es eine Reihe werden. Allerdings fällt mir derzeit noch nichts wichtiges mehr dazu ein. Hast Du nen Vorschlag?

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  4. So richtig blöd wird es, wenn man selber die Grenze nicht merkt zwischen… Ich spiele nur, dass ich nicht will und dem Fakt, dass ich tatsächlich nicht will. So erging es mir nach einem Streit… Ich dachte, ich ergebe mich brav, wie immer. Merkte jedoch zu spät, dass aufgrund des Streits gerade nicht genügend Vertrauen da ist. Letzten Endes verletzt man mit fehlender Selbstreflexion sich selbst und das Vertrauen des Dom.

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  5. Guten Tag Houssam,

    Da bisher noch keine weiteren Vorschläge gemacht wurden, werfe ich einfach eine Idee für weitere Artikel der Reihe ein 🙂

    Du hast diesen Artikel folgendermaßen eingeleitet:

    „Lektion 1: Freiwilligkeit. Warum paradoxerweise Freiwilligkeit und Vertrauen das Fundament des Spiels mit sexueller Unterwerfung sind.“

    Hierbei Lag dein größte Fokus auf Vertrauen und den freien Willen.

    Wie wäre es mit:

    Lektion 2: die Facetten der Unterwerfung / Facetten der Dominanz / Der Prozess des Vertrauensaufbaus / BDSM-Settings … usw ? 🙂

    Ich bedanke mich jedenfalls sehr für deinen Artikel und bin gespannt ob und was noch folgt 🙂

    Eine schöne Zeit bis dahin

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