„Das ist ja nicht so spannend hier“*

– Die Rosa-Luxemburg-Konferenz tut so, als wäre alles geklärt, und macht sich damit unglaubwürdig

Spartakisten mit stechendem Blick schauen dich an, als wollten sie fragen, auf welcher Seite du stehst. DKP‘ler drücken dir ein Flugblatt in die Hand und kratzen sich am Bart. Die Frau vom Junge Welt Stand zeigt Tiefe durch das gleichzeitige Tragen von Kapuzenpulli und Lippenstift. Bei der TAZ gibt’s Schokolade. Die Freidenker gucken klug. Nichts Neues im Westen: Der wilde Markt der linken Erlösungsversprechen bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Urania.
Wie jedes Jahr gibt es viele Vorträge, Stände und am Ende eine Podiumsdiskussion. Es ist voll. Im Hauptsaal spricht irgendein Vertrauer Castros zu laut ins Mikro, so dass Leute mit schlechten Nerven Kopfweh bekommen.

Der Sohn des Liedermachers Franz-Joseph Degenhardt stellt eine neue Platte zu Ehren seines Vaters vor und singt staatskritische und revolutionär gestimmte Lieder. Die Anwesenden werden nostalgisch. Dann gibt es eine „gemeinsame Solidaritätserklärung“ mit dem Präsidenten Venezuelas Chávez, in die – ohne Frage – alle einstimmen. Der spanische Journalist und Medienwissenschaftler, Ehrenpräsident von Attac und Mitorganisator des Weltsozialforums Ignacio Ramonet erzählt von den Medien Lateinamerikas, die von Reichen gegründet wurden und den Reichen nach der Pfeife tanzen. Er gibt Beispiele: Die Chilenische Zeitung „El Mercurio“ habe mit dem CIA zusammengearbeitet, Streiks organisiert und damit das Land destabilisiert. Dem Medienkomplott gegen Chávez 2002 folgte ein Staatsstreich, den aber glücklicherweise das venezuelanische Volk wieder rückgängig machte.
Schon das Singular „Volk“ zu benutzen, sollte verboten werden. Und die CIA-Geschichten kennt man schon zur Genüge, vom Zigarre rauchenden Onkel, oder vom Bäcker nebenan, der immer das „r“ so schön rollt. Das bedeutet natürlich nicht, dass Ramonets Aussagen falsch sein müssen. Das Problem ist nur, dass er sich ungefähr genau so viel Mühe gegeben hat, seine Aussagen zu belegen, wie der Bäcker mit dem rollenden „r“.
Endlich kam dann die „Podiumsdiskussion“, die – seien wir ehrlich – keine Diskussion war, sondern eine weitere Reihe von Vorträgen. Ihre Sätze musste die linke Anwältin Gabriele Heinecke stückweise vorbringen, weil das Publikum noch die simpelste Aussage euphorisch beklatschte. Thema war der bestürzende Umgang des Staates mit Neonazimördergruppen. Der Verfassungsschutz sei eben „auch nur ein Geheimdienst“, und er habe nie etwas gegen die Nazis getan. Susann Witt-Stahl meinte, man dürfe den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus nicht vergessen. Belegt oder wenigstens ernsthaft erklärt wurde die These jedoch nicht. Stattdessen wurden sogleich alle verhöhnt, die an der These Zweifel haben. Der stellvertretende DKP-Vorsitzende Patrik Köbele stimmt zu, Klassenfrage und Faschismusfrage seien nicht trennbar. Der Faschismus habe die Funktion, von tatsächlichen Herrschaftsstrukturen abzulenken. Das ist sicher irgendwie wahr, aber wie das genau funktioniert, und ob das wirklich so stimmt, und v.a. ob wirklich Köpfe und Absichten dahinterstecken, oder ob das nicht einfach Eigendynamiken sind, steht auf dem anderen Stern.
Der Linken-Politiker Bodo Ramelow ist der erste Sprecher an diesem Abend, bei dem es nicht so rüberkommt, als würde er es mit der Wahrheit nicht ernst nehmen. Seine persönlichen, negativen Erfahrungen mit Polizei und Verfassungsschutz wirken glaubwürdig, seine empirischen Belege nicht aus der Luft gegriffen.
Selbstkritik ist Lebensluft, meinte Rosa Luxemburg. Die Luft auf dieser Veranstaltung war aber schwer und stickig. Das Ganze wirkte autistisch und hauptsächlich darauf ausgerichtet, kollektive Identität zu festigen. Eine welterklärende Narration wurde gemeinsam durch viel Nicken, durch Rufe, durch die geballte Faust und durch Sprechchöre befestigt. Halbgeklärte Thesen wurden als die Wahrheit verkauft. Man sollte nicht zur Stärkung der Schlagkraft das Denken vermeiden. Eine aufregende Linke sieht anders aus.

*Zitat einer genervten Teilnehmerin

4 Antworten auf „„Das ist ja nicht so spannend hier“*

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  1. „Das Ganze wirkte autistisch und hauptsächlich darauf ausgerichtet, kollektive Identität zu festigen.“
    Nur ganz kurz: Der Artikel ist ja schon etwas älter, aber als Person die qua Betreuungs/Pflegejob jeden Werktag mit einer großen Zahl autistischer Leute zu tun hat, tun mir solche Formulierungen/Metaphern weh.
    Sie stimmen auch einfach nicht.
    Ich finde das ist dasselbe wie „schwul“, „behindert“, „Spasti“, „Mongo“ zu nutzen um irgendwas oder irgendwen zu beschimpfen. Und da ich mich gerade ein bisschen durch deinen Blog lese: das magst du ja sonst auch nicht so gerne. https://houssamhamade.net/2016/06/27/wenn-rapper-es-eigentlich-nicht-so-meinen/

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    1. hm. ich habe auch jahreland in der pflege gearbeitet und es stößt mir nicht auf. es soll ja keine allgemeine beleidigung sein, sondern beschreiben, dass jemand aus der eigenen schale nicht herauskommt. andererseits stimmt es natürlich, dass es hier etwas negatives sein soll, und autismus ja noch viel mehr ist… weiß auch nicht. ich muss mal darüber nachdenken.

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      1. Ich würde sagen, Autismus ist nicht unbedingt nur mehr, sondern oft auch was ganz anderes. Mensch spricht ja mittlerweile auch nicht grundlos von einer „Spektrum-Störung“. Und ich habe auch schon den Eindruck, dass die allermeisten Menschen mit Autismus sehr gerne aus „ihrer Schale“ rauskommen es fällt ihnen aber teils eben deutlich schwerer bzw ist mit Anstrengung verbunden. Liegt ja auch mit an diversen Barrieren auf die sie keinen/kaum Einfluss haben. Teilweise empfinde ich die Kommunikation mit vielen Autist*innen auch gerade als ausserordentlich offen, erfrischend ehrlich und unmittelbar.

        Es ist negativ konnotiert, und es formt aber auch das negative gesellschaftliche Bild von Autismus/Autist*innen weiter mit… ich hab mal kurz gegoogelt ob jemand das mit den Autismusmetaphern in der Presse schon mal aufgearbeitet hat, vielleicht hilft das ja, empfand das spontan als brauchbare Zusammenstellung.
        http://gedankentraeger.de/?p=3237

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